Vom ersten Skandalcamp 2004 über das Glanzcamp 2011 bis zur hysterischen Langweile von heute: Das Dschungelcamp zehrt immer noch von dem Mythos, den es in den letzten Jahren aufgebaut hat. Aber es droht die Bedeutungslosigkeit, weil es immer mehr verliert, was es groß gemacht hat: Die Echtheit im Falschen.
Als 2004 RTL zum ersten Mal mit „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ auf Sendung ging, ging tatsächlich das Abendland unter. Lisa Fitz, Werner Böhm und -wer kennt ihn noch – Daniel Küblböck waren die Stars der ersten Folge der voyeuristischen Ekelsendung, die Seher und Nichtseher um den Verstand brachten. Umso höher die Einschaltquoten stiegen und die Sendung sich auf der Aufmacherseite der BILD etablierte, desto heftiger schwappte eine in der Prä-Facebook-Medienwelt noch nie gekannte Empörungswelle durch das Land. Skandal! Tierschützer liefen Sturm; Moralapostel und Medienvertreter sahen die Menschenrechte verletzt. Das Feuilleton beschwor gefährliche Verdummungstendenzen des Fernsehens. Unterschichten-TV. Es gab sogar Überlegungen, die Sendung zu verbieten. Im Rückblick kaum zu glauben, welche absurde Aufmerksamkeit dieser substanziell banalen Unterhaltungssendung am Anfang geschenkt wurde. Gerade von den Kritikern, die der Sendung damit eine Wichtigkeit gaben, die sie erst interessant machte. So blieb die Sendung und wurde im eher trüben Januar in Deutschland zum festen Ritual.
Ironie und Intelligenz als Stilmittel
Der Erfolg macht in der Marktwirtschaft jeden zum Gewohnheitstier. Und umso länger die Serie blieb, desto langweiliger wurde selbst den Kritikern ihre Kritik. Zumal das Format in bester medienkapitalistischer Tradition die Kritik ironisch in das Konzept der Sendung aufnahm und sich damit auch zum Hochamt einer selbstreferenziellen Medienkritik hochstilisierte bzw. hochintellektualisierte. Die Moderatoren – Dirk Bach (+2012) und Sonja Zietlow – wurden zu humoristischen Kommentatoren der um Reputation und Aufmerksamkeit wettkämpfenden Berufsnarzissten. Ironie und Distanz zu bevorzugten Stilmittel. Die Promis ohne Promistatus lassen sich doch nur fürs Geld zu Everybody’s Deppen machen? Na klar doch, wir machen uns über ihre Geldsorgen auch lustig. Die Dramen sind doch nur inszenierte Pseudoaufregung? Klar, stimmt auch, aber wir machen das so gut, dass ihr nicht unter eurem Niveau lachen müsst. Die Gladiatoren in der Arena folgen doch nur einem festen eigenen Drehbuch, um sich am Markt als Marke zu positionieren? Klar doch, aber wir machen das öffentlich.
Fernsehen schien bei sich selbst angekommen zu sein. Auch immer mehr Akademiker bekannten sich dazu, das Camp zu gucken. Zumal das Camp 2011 mit Sarah „Dingens“ Knappik, dem Sänger Jay Khan und sowie dem wirklichen Großschauspieler Mathieu Carrière und Moderator Peer Kusmag zweifellos einen dramatischen Höhepunkt lieferte, weil das passierte, was als Beste in diesem Format passieren kann: sich vor der Kamera eine eigene Gruppendynamik entwickelte, die alle einstudierten Masken fallen ließ und augenblickgesteuert war. Echt. Wahr im ganz Falschen. Darf ein ganzes Team ein einzelnes Mitglied im Namen des Guten einfach ausstoßen oder hatte Kusmag recht, der sich als Einziger dem Gruppenzwang widersetzte und sich aus Prinzip auf die Seite der Ausgestoßenen „Dingens“ stellte? Das Camp wurde zu einer großen moralischen Anstalt, in dem die Zuschauer mittels Telefon zu Schiedsrichtern in den großen Fragen von Gut und Böse wurden. Ekel- wurde nolens volens zu Bildungsfernsehen. Die Einschaltquoten waren nie höher.
Auf der Suche nach neuer Größe
Diese faszinierenden Momente von vermeintlicher Echtheit in der inszenierten Falschheit zu finden, motiviert immer noch viele, im Januar jeden Tag auf RTL zu schalten. Und das Team versucht immer aggressiver, mit geeignetem Personal ähnlich großartige Konstellationen liefern zu können. Aber es mag nicht mehr richtig gelingen. Zu sehr orientieren sich die Gladiatoren selbst an den Rollen ihrer Vorgängern. Immer mehr lebt das Dschungelcamp von theatralischen Einzelkönnern statt von sozialpsychologischen Großexperimenten: Letztes Jahr war es die österreichische Hysterikerin Larissa Maroldt, die das Camp im Verbund mit den Zuschauern zu einer persönlichen Zirkusnummer machte. Gerade das diesjährige Camp droht zu einer billigen Imitation der letztjährigen Ausgabe zu werden. Wenn sich auch die Teilnehmer nur noch nach der Geschichte des Formats orientieren, machen sie dadurch ihre eigene Überflüssigkeit nur noch deutlicher. Das könnte dem Format schnell sehr gefährlich werden. Denn es fördert den eigentlichen Todfeind des Formats: Langweile.
Email This Post
Schreibe einen Kommentar