Am 26. Juni vor 40 Jahren hatte der absurdeste und kindischte 007-Film aller Zeiten Weltpremiere: Moonraker – streng geheim von Lewis Gilbert. Dada pur. Geliebt, gehasst, verspottet. Dabei ist er nicht nur der schönste, sondern auch der letzte große Bond. Das Ende einer Utopie. Und der Anfang von Daniel Craig.
Tatsächlich: Die Szenen sind peinlich und unwitzig, was besonders schlimm ist, wenn sie witzig sein wollen. Es ist zum Fremdschämen, wenn Roger Moores venezianische Gondel sich nach einer pittoresken Verfolgungsjagd durch die Kanäle Venedigs auf dem Weg zum Markusplatz in ein, nun ja, gondelähnliches Landfahrzeug verwandelt und völlig sinnbefreit dort seine Runden dreht, nur damit Gilbert und Wood ein paar laue Schenkelklopfer unterbringen können: u.a. eine blinzende Taube und einen Kellner, der vor lauter Schreck den Wein über die Hose des Gastes ausgießt. Die alte Torte-ins-Gesicht-werfen-Komik aus der Stummzeit, die Zehnjährige sicher gackern lässt, aber darüber hinaus peinliches Schweigen produziert. Ähnliche Kopf-Tisch-Gefühle überkommen auch dem leidensfähigsten Bondfan, wenn der berühmte böse Hüne mit dem Stahlgebiss, der „Beißer“, in den Ruinen einer zerlegten Seilbahnanlage plötzlich auf die Liebe seines Lebens trifft: ein kleines, blondes Grinsemädchen mit Sommersprossen und original Pippi-Langstrumpf-Zöpfen: Hänsel und Gretel. Auch wenn man diesen Dresscode eines BDM-Mädels mit etwas gutem Willen mit dem Nazihintergrund der Original-Flemingvorlage erklären bzw. entschuldigen will – letztlich ist diese Szene nicht weniger als die totale Kapitulation eines Bondfilms vor dem Kasperletheater.
Ja, es stimmt, es gibt sie, diese Szenen, es ließen sich noch zwei, drei ähnliche anführen, die das Peinliche und Dümmliche von Moonraker scheinbar axiomatisch begründen. Doch das ist nur die kleine, völlig unbedeutende Seite dieses Bond-Meisterwerks. Die Szenen stehen nur in ihrer Maßlosigkeit repräsentativ für den Film und sind vor allem dem kindlichen Gemüt des Regisseurs, eines ehemaligen Kinderstars, geschuldet und auch als Zugeständnis an die wichtige kleinwüchsige Zielgruppe zu werten.
Der Bond schlechthin
Der Klamauk verdeckt nur den Blick auf die Ästhetik und besondere Brillanz dieses Filmes. Er ist pure Kunst, gerade auch für Erwachsene. Kunst von der visuellen Umsetzung her, aber auch serienimmanent in der Binnenkommunikation mit den bis dahin zehn Bondstreifen vor ihm. Moonraker ist der selbstreferenzielle Bond schlechthin, „Oper und Comic“ (Bernd Zywietz) in einem. Wie kein anderer davor und danach lebte der Film von der stillen Komplizenschaft mit dem Stammpublikum. Er spielt manchmal subtil, manchmal offenkundig, mit den Standards der Serie und übersteigert diese so ins Definitiv-Ultimative, das es danach nicht weitergehen konnte wie bisher. „ MOONRAKER war letztendlich nichts anderes als der natürliche Schlusspunkt der Bond-Serie und nichts weniger als der letzte große Bond-Film“ (Olaf Brill). Der Film, die die ersten 17 Jahren mit einem großen Feuerwerk abschloss und der die in der Figur Bond konzipierte Utopie formschön vollendete. Also in dem Sinn der Bond schlechthin.
Form siegt über Inhalt
Das begann schon mit dem Plot. Denn in Moonraker geht es – entgegen dem Klischee – zum ersten Mal in wahrsten Sinne des Wortes um die Weltherrschaft. Denn kein Land, keine Rasse, kein Kontinent nein: alle sechs Milliarden Menschen auf der Erde sollen zerstört werden. Von außerhalb der Welt, vom Weltall aus, von einer gigantischen futuristischen Raumstation von Adamscher Schönheit aus. Diesem selbst für Bonddimensionen märchenhaften Plot entsprach die fast immer völlig frei schwebende Bondinterpretation von Roger Moore. War schon in seinen ersten drei Filmen Moores Darstellung von sanfter Selbstdistanzierung geprägt, schwebt er in Moonraker nun völlig schwerelos von Handlungsort zu Handlungsort, von Kontinent zu Kontinent, von Europa nach USA nach Südamerika und von dort in den Himmel. Immer kontrolliert, ohne jeden Schweißtropfen, mit Witz sogar noch im Raumanzug erlöst er die Menschheit vor der Auslöschung. Kein Film spiegelt mehr die eigentliche Bondutopie wider, ohne echte Anstrengung das Böse erledigen und dabei nebenbei auch das Schöne, in diesem Fall die Frauen, bekommen zu können. Die Utopie von der moralischen Reinheit eines Killers im Auftrag des Guten. Nur so konnte Roger Moore, ein glühender Pazifist, ganz in seiner Rolle aufgehen. Form siegt über Inhalt. Ein Traum wird Wirklichkeit, wie Hugo Drax in anderem Zusammenhang sinngemäß sagte.
Melancholie des Widerspruchs
Da allerdings der Film durchgehend die Unmöglichkeit der dargestellten Bondutopie kritisch reflektiert, durchzieht Moonraker trotz aller Leichtigkeit eine eigenartige melancholische Schwere, ja auch Traurigkeit, die sich vor allem in der musikalischen Ausgestaltung und in ihrer artifiziellen Kameraführung zeigt. Shirley Basseys tieftrauriger Titelsong, aber vor allem die sphärenhaften träumerischen Kompositionen von John Barry fallen da ins Gewicht. Wenn Roger Moore mitten im südamerikanischen Regenwald von einer unbekannten Schöne in das Pyramidenheim des Schufts geführt wird, wird dies von den märchenhaften Klängen Barrys untermalt. Oder wenn Bond und Goodhead auf dem Weg zur Weltraumstation sind, verleiht erst Barrys himmlischer „Flight into space“ dem Geschehen seine majestätische Tiefe. Der verträumte Binnenkosmos „Moonraker“ ist wahrhaft „out of this world“. In Schönheit vorher und nachher kaum erreicht. Bond war als Symbol zu Ende erzählt. Was folgte, war Echo und Wiederholung. Der Weg, der 2006 zu Daniel Craig führte, war unausweichlich geworden.
„Flight into the space“ – John Barry
24. Mai 2017 at 13:07
Ich bin über das traurige Ereignis von Roger Moores Tod auf Ihren Blog aufmerksam geworden.
Danke für diese Liebeserklärung an den wohl monumentalsten Bondfilm aller Zeiten. Erfreulich, dass im Laufe der Jahre auch positives über den gerne verschmähten Beitrag der Reihe geschrieben wird. Unerreicht bleibt die Wirkung von Ken Adams gigantischen Bauten, die nie aufwendiger und zahlreicher waren als hier. Von allen Bonddarstellern, konnte nur ein Roger Moore wie selbstverständlich in den Weltraum fliegen und die Welt retten als sei es ein Kinderspiel. Solche Abenteuer-/Action-Unterhaltungsfilme, ohne Schwere, Düsternis und Brutalität, vermisse ich im heutigen Kino. Nun ist nach Bud Spencer im letzten Jahr, mit Roger Moore ein weiterer Teil meiner Kindheit von uns gegangen.
„Moonraker“ hat sich seit Jahren Platz 2 meiner Lieblingsbondfilme, direkt nach „Der Spion, der mich liebte“ gesichert.
10. Januar 2018 at 15:47
Hallo Christoph,
durch den Tweet des JBCD bin ich zunächst auf Deinen Blog und dabei insbesondere auf Deinen Artikel zu Moonraker gekommen. MR war 1979 der erste neue James Bond Film, dem ich ab Anfang der Dreharbeiten, über die damals in den Zeitungen berichtet wurden, entgegengefiebert habe. TSWLM war zwar zwei Jahre zuvor mein erster Bond Film, den ich gesehen hatte, aber darauf kam ich ja erst durch Rudi Carrell als der Film bereits im Kino lief.
MR beeindruckte mich vor allem durch seine vollkommene Eleganz. James Bond stand schon immer für mondäne Schauplätze, Luxusgüter, Schönheit und Perfektion. In keinem anderen Bond Film bis dahin und auch nicht danach wurde jedoch eine dermaßen schöne Welt gezeigt. das Chateau Vaux-le-Vicomte (mitten in Kalifornien!), Venedig, Rio, die Iguazú-Fälle und schließlich auch noch die ganze Erde von oben. Es war dann auch vom Plot des Films nur konsequent, dass diese schöne Welt es nicht verdiente, von der Menschheit bevölkert und letztlich zerstört zu werden. Hugo Drax war der selbst ernannte Heiland, der bestimmte, dass nur ebenso schöne Menschen das Recht haben, diese Erde zu bewohnen und in den Genuss ihrer Schönheit zu kommen. Und ausgerechnet mit Roger Moore als 007 kam ein Weltenbewahrer zum Einsatz, der durch seine eigene stilvolle Erscheinung selbst perfekt in die schöne neue Welt des Hugo Drax gepasst hätte. Ausgerechnet der sophisticated Gentleman als Retter der überbevölkerten und restlos zerstrittenen Erde. Und genau damit wird MR zum Bond-Film aller Bond-Filme. Die Regierung Ihrer Majestät, stellvertretend für die freie westliche oder gar restliche Welt – die Sowjets nicken die Mission schließlich ab – schickt ihren besten und bestaussehendsten Mann rund um die Welt und in den Weltraum, um die Schaffung von Drax‘ perfekten Welt zu verhindern, in der sich Bond augenscheinlich sowieso schon befindet. Aber diese schöne Welt hat natürlich Risse, Bond wird nach dem Leben getrachtet, beim Anschlag auf ihn in der Zentrifuge zeigt er zudem seine eigene Verletztlichkeit und eine hübsche Frau wird andeutungsweise von Hunden zerfleischt bevor die Glocken am Markusplatz erstmal zurück in die schöne Welt überleiten.
Hervorgehoben wird dies alles durch John Barrys romantisch-melancholischen Score, der eigentlich bis auf das Bond-Thema in der Pre-Title-Sequence sowie sein 007-Thema bei der Bootsverfolgungsjagd so gar nichts mit James Bond zu tun hatte, aber genau aus diesem Grund so perfekt für diesen Film passte. Bei der Szene, in der Bond im Space Shuttle den Monitor einschaltete, um zu schauen, welche „Fracht“ sie geladen haben und all diese Liebespaare zu sehen waren und dazu der Chor im Track „Flight Into Space“ einsetzte, bekomme ich immer noch Gänsehaut. Im Cockpit saßen mit Bond und Holly zwei nicht minder hübsche Menschen, die sich ebenfalls zugeneigt waren, sich aber nicht von ihrer Aufgabe ablenken ließen. Trotz ihrer eigenen Attraktivität waren sie immer noch Agenten, die das Schlimmste verhindern sollten, das aber eigentlich darin bestand, ein Paradies auf Erden zu schaffen.
Damit ist MR glücklicherweise nicht auch noch der romantischte aller Bondfilme geworden, hier rangiert er allenfalls auf Platz 5 oder 6 oder noch weiter hinten. Aber durch seine Eleganz im Widerspruch mit allen hässlichen Facetten der auch bei James Bond existierenden realen Welt gehört MR für mich immer noch zu meinen fünf Lieblings-James-Bond-Filmen.
John Barrys Score ist in meinen Augen sein bester überhaupt. Ein Jammer, dass er nie vollständig veröffentlicht wurde.
Viele Grüße und bis demnächst, bei den kommenden Club-Events
Sebastian