Heinrich Heine war ein Grenzgänger zwischen Literatur und Journalismus und ein politischer Intellektueller, bevor der Begriff erfunden wurde. In den vorrevolutionären Jahren 1843/44 wurde seine Dichtung auch durch die Begegnung mit Karl Marx besonders politisch. Wie eng waren Heine und Marx? Wie haben sie sich gegenseitig ideologisch beeinflusst – und wie eben auch nicht?
Es steht außer Frage, dass Heine ein „in jeder Hinsicht politischer Schriftsteller“ war. Dieser Themenkomplex fand allerdings erst durch die Politisierung der westdeutschen Gesellschaft in den 1960er-Jahren in der Forschung in der alten Bundesrepublik einige Beachtung. Dies lag sicher auch an den ideologisch bedingten Barrieren des Kalten Krieges, denn in der DDR galt Georg Lukacs Diktum von Heine als „Ideologe[n] des Weiterschreitens der demokratischen Revolution seiner Zeit zur proletarischen“ lange Zeit als Grundlage der dortigen Forschung. Entscheidend hierfür war die Bekanntschaft zwischen Heine und Karl Marx in der Mitte der 1840er Jahre. Diese wurde in der westdeutschen Forschungsliteratur dann als Reaktion entweder verschwiegen oder bagatellisiert. Inzwischen lässt sich die Frage nach einer politischen Verbindungslinie zwischen Heine und Marx ideologisch unvoreingenommen stellen. Wer hat wen beeinflusst – Heine Marx oder umgekehrt? Wie war das persönliche Verhältnis, was verband sie, was trennte sie?
Der wichtigste Bezugspunkt im politischen Denken Heines war ähnlich wie bei den meisten Intellektuellen seiner Zeit die Philosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegels. Heine übernimmt von Hegel insbesondere die Vorstellung, dass alle historischen Taten nur Ausfluss bereits existierender Ideen sind und deswegen die Ideen die Hauptantriebskräfte für den geschichtlichen Fortschritt darstellen. Diese Überzeugung von der Macht des Idealismus führte bei Heine zur Erkenntnis, dass der Schriftsteller als intellektueller Ideengeber eine besondere Verantwortung vor der Geschichte besitzt.
Heines Essay „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“
Erhellend in diesem Zusammenhang Heines Essay „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ (1835), eine dreiteilige revolutionäre Interpretation der deutschen Geistesgeschichte von Luther bis Hegel. In der von Martin Luther vorausgedachten Reformation sah Heine die „große religiöse Revolution“, durch die der Reformator zum Begründer der Geistesfreiheit in Deutschland wurde. Der protestantische Freiheitsgedanke wurde zum Wegbereiter der „philosophischen Revolution“, die von Descartes, Leibniz bis schließlich zu Kant führte und sich immer mehr allein den Prinzipien der Vernunft verpflichtet fühlte. Hegels Philosophie bereitete dann den Boden für eine politische Revolution in Deutschland. Bereits 1831 verglich Heine die philosophische Revolution der Deutschen mit der Französischen Revolution 1789. Doch die gewünschte politische Revolution sollte für Heine keine Kopie der französischen Revolution sein, sondern vielmehr über sie hinausgehen, indem sie dem in seiner Religionsgeschichte formulierten Hein‘schen Wunsch nach einer ganzheitlichen Emanzipation der Menschen gemäß der sensualistischen Utopie der Saint-Simonisten entsprach:
„Wir kämpfen nicht für die Menschenrechte des Volkes, sondern für die Gottesrechte des Menschen. Hierin, und in noch manchen anderen Dingen, unterscheiden wir uns von den Männern der Revoluzion. Wir wollen keine Sanskülotten seyn, keine frugale Bürger [ ] … : wir stiften eine Demokrazie gleichherrlicher, gleichheiliger, gleichbeseligter Götter. Ihr verlangt einfache Trachten, enthaltsame Sitten und ungewürzte Genüsse; wir hingegen verlangen Nektar und Ambrosia, Purpurmäntel, kostbare Wohlgerüche, Wollust und Pracht, lachenden Nymphentanz, Musik und Komödien – Seyd deßhalb nicht ungehalten, Ihr tugendhaften Republikaner! Auf Eure censorische Vorwürfe entgegen wir Euch, was schon ein Narr des Shakespear sagte: meinst du, weil du tugendhaft bist, solle es auf dieser Erde keine angenehmen Torten und keinen süßen Sekt mehr geben?“
Heine radikaler Oppositoneller 1842
Anfang radikalisierte sich das politischen Denken Heinrich Heines. Seine Aufsätze gegen die preußische Staatsmacht in der „Allgemeinen Zeitung“, für die Heine seit Februar 1840 schreibt, werden zunehmend aggressiver und ihm werden sogar kommunistische Umtriebe vorgeworfen, so dass er ab Mitte 1842 seine Tätigkeit für das Blatt praktisch einstellt. Heine selbst schätzt sich nun als radikaler Oppositioneller ein, was besonders in dem 1843 entstandenen Gedicht „Lebensfahrt“ deutlich wird, in dem es u.a. heißt:
„ Ich habe ein neues Schiff bestiegen
Mit neuen Genossen; es wogen und wiegen
Die fremden Fluten mich hin und her
Wie fern die Heimat! Mein Herz wie schwer!
Die letzten Zeilen lassen aber auch einige Skepsis und Fremdheit gegenüber seinen „neuen Genossen“ erkennen, zu denen allerdings zu dieser Zeit einer noch nicht gehörte: Karl Marx. Heine hatte sich bereits Ende 1842 anerkennend über die schriftstellerischen Aktivitäten von Marx geäußert. Marx stand ebenso wie Heine im Bann der Hegelschen Philosophie und war 1842 Chefredakteur der liberalen „Rheinischen Zeitung“ in Köln geworden, dass unter seiner Regie immer radikaler geworden. Mitte 1842 zog er mit Ruge nach Paris, wo Marx immer mehr zum autonomen kommunistischen Theoretiker Marx wurde.
Bekanntschaft Heine und Marx Ende Dezember 1843
Heine und Marx lernten sich in Paris Ende Dezember 1843 kennen. Es war der Beginn einer intensiven Bekanntschaft, wie die Tochter von Marx zu berichten wusste:
„Es gab eine Zeit, wo Heine tagaus tagein bei Marxens vorsprach, um ihnen seine Verse vorzulesen und das Urteil der beiden jungen Leute einzuholen. Ein Gedichtchen von acht Zeilen konnten Heine und Marx zusammen unzählige Male durchgehen, beständig das eine oder andere Wort diskutierend und so arbeitend und feilend, bis alles glatt und jede Spur von Arbeit und Feile aus dem Gedicht beseitigt war.“
Gemeinsame politische Ziele: Heine und Marx
Bei der Flucht von Marx aus Paris im April 1844 bedauerte er vor allem seine Trennung von Heine. „Lieber Freund. (…) Von allem, was ich hier an Menschen zurücklasse, ist mir das Heinsche Hinterlassenschaft am unangehmsten. Ich möchste Sie gerne einpacken“, schrieb er am 12. Januar 1845. Marx und Heine waren nicht nur persönlich, sondern auch geistig eng miteinander. Sie verband natürlich auch der Hass auf das reaktionäre Preußen, doch es ist nicht nur ein „Bündnis aus negativer Negation“, sondern sie verband auch die Liebe zur Poesie, das beiderseitige Interesse am gemeinsamen Lehrer Hegel und vor allem das gemeinsame politische Engagement für die „soziale Frage“. Als die „Deutsch-französischen Jahrbücher“ von Marx und Ruge nach der ersten Ausgabe eingingen, stand Heine auf der Seite von Marx, der nun mit seiner Gruppe mit der Übernahme des „Vorwärts“ ein neues publizistisches Organ schuf. Heine publizierte nun im „Vorwärts“ einie seiner radikalen Zeitgedichte, unter ihnen die „Die schlesischen Weber“ und „Doktrin“, die er anderweitig kaum hätte unterbringen können. Heine schien Marx in hohem Maße zu vertrauen, so dass er einen Teil seines „Deutschland. Ein Wintermärchen“ (1844) an Marx zum Abdruck im Vorwärts schickte und ihn bat, dafür ein „einleitendes Wort“ zu schrieben. Was dann aber nicht geschah.
Vergleich „Deutschland. Ein Wintermärchen“ und „Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“
Die unten stehende Arbeit geht noch näher auf die Frage ein, wie sehr sich Marx und Heine gegenseitig beeinflussten. Dabei werden exemplarisch zwei Werke verglichen werden: „Deutschland: Ein Wintermärchen“ von Heinrich Heine und „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung“ von Karl Marx, beide fast gleichzeitig 1843/4 geschrieben.
Für die Auswahl dieser beiden Werke sprechen insbesondere drei Gründe. Erstens sind beide Arbeiten praktisch gleichzeitig in der intensiven Phase ihrer Bekanntschaft entstanden, zweitens gelten beide Werke als wichtige Meilensteine in den jeweiligen Werkgeschichten und drittens war besonders in der marxistisch orientierten Forschung das „Wintermärchen“ „als eine Art von poetischen Gegenstück zu des jungen Marx ‚Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie‘“ interpretiert oder als das von Marx am meisten beeinflusste Werk Heines gedeutet worden.
Bindendes und Trennendes
Die untenstehende Studie kommt zum Schluss, dass das ideologische Verhältnis zwischen Heine und Marx differenziert betrachtet werden muss. Trotz der engen persönlichen und auch politischen Bindungen kann nicht einfach auf eine weltanschauliche Identität der beiden in dieser Zeit geschlossen werden. Denn während Marx das Proletariat als Träger der kommenden radikalen Revolution in seiner „Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“ in die philosophische Debatte einführte und damit den entscheidenden Sprung weg vom Junghegelianer hin zum autonomen kommunistischen Theoretiker tat, blieb Heine im „Wintermärchen“ nicht nur seinem sensualistischen Saint-Simonismus treu – einzelne Passagen lassen sogar eine bewusste Distanzierung zur Entwicklung von Marx erkennen. Hauptsächlich im antithetischen Sinn kann man also in Heines „Wintermärchen“ einen Einfluss von Marxschen Denken erkennen.
Gliederung der Studie:
1 Einleitung
2 Die weltanschauliche Entwicklung Heines ab 1831
3 Die Bekanntschaft zwischen Marx und Heine 1843/4
3.1. Werdegang von Marx bis 1843
3.2. Die persönliche Beziehung von Karl Marx und Heinrich Heine im Jahre 1843/4 und deren Vorgeschichte
4 Marxens „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung“ und Heines „Deutschland. Ein Wintermärchen“ im Vergleich
4.1. Inhalt und Form der Marxschen „Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosphie
4.1.1. Die Religionskritik als Voraussetzung aller Kritik
4.1.2. Die gegenwärtige Situation in Deutschland und ihre Konsequenz
4.1.3. Die Konstruktion des Proletariats als revolutionäres Subjekt
4.2. Die politische und geschichtliche Dimension von Heines „Deutschland. Ein Wintermärchen“
4.2.1. „Das ist mein Patriotismus“: Das programmatische Vorwort als Absage an den Nationalismus
4.2.2. „Ein neues Lied, ein besseres Lied“. Die Vision Heines (Caput I, XXVII)
4.2.3. „Die Tat von deinem Gedanken“: Die Problematik der Dialektik Gedanke/Tat (Caput VI und VII)
4.2.4. „Ja, zählt auf mich und helft Euch selbst“. Zur Frage der Parteilichkeit des Dichters (Caput XII)
4.2.5.“Was ich gesehn, verrate ich nicht“. Der Zwiespalt zwischen Barbarossa- Mythos (Caput XIII-XVII) und der Hammonia-Episode (Caput XXIII-XXVII)
5 Schlussbetrachtung
Die Studie ist als E-Book und Buch bei grin.com für 11, 99 € bzw. 13, 99 E käuflich zu erwerben.
Heinrich Heine als politischer Dichter und das ideologische Verhältnis zu Karl Marx 1843/44, Grin München
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