Der erste Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland verkörperte mit seinem bildungsbürgerlichen Habitus die Antithese zum Nationalsozialismus und stand damit im Ausland für einen glaubhaften Neuanfang.
Der baden-württembergische Kultusminister war gar nicht mit dem einverstanden, was er da gesagt haben soll. Als er am 25. September 1946 die Niederschrift seiner stenografierten Rede über das Verhältnis zwischen Staat und Religion korrigierte, „stand er zum Teil geradezu vor einem Rätsel, was ich da für einen Mist verzapft habe“, klagte er offen in einem Schreiben an die Verfassungsgebende Landesversammlung. Weniger seine Geisteskraft zog er in Zweifel, als vielmehr die Qualität der Stenotypisten. Manchmal beschlich dem wortgewaltigen Heuss „das Gefühl, dass der Stenograf sich aus seinen Notizen, die er selber nicht lesen konnte, etwas zusammengedichtet hat“. Und er wusste, wovon er sprach. Die Kurzschrift beherrschte der „alte Stenograf“ aus dem Effeff. Sie war seine Leidenschaft. Bereits 1925 hatte der junge liberale Abgordnete im Zuge der Verhandlungen über die Vereinheitlichung der Stenografieregeln in einer Rede humorvoll den Glaubenskampf zwischen den beiden Systemen Gabelsberger und Stolze-Schrey aufs Korn genommen. Auch als er längst Bundespräsident war, machte er sich oft einen Spaß daraus, vor Interviews die Bonner Parlamentskorrespondenten über ihre Stenografiekenntnisse zu befragen bzw. diese, wenn sie nicht vorhanden waren, ihnen detailliert zu vermitteln. Hier trafen zwei Stränge zusammen, die das berufliche Leben und auch die politische Karriere von Theodor Heuss bestimmten: Journalismus und politische Bildungsarbeit.
Journalist und Demokratieerzieher
Die intellektuelle Begabung von Heuss war bereits in frühen Jahren erkennbar. Der im tiefen Schwaben Aufgewachsene – seine Aussprache verriet zeitlebens seine Herkunft – war schon als Schüler von unbändigem Wissensdrang beseelt: Er zeichnete, malte und las wie ein Bessesener alles, was ihm in die Hände kam. Schon im zarten Alter von 16 schulte er mit Beiträgen für das Heimatblatt sein Schreibtalent. Für den homme de lettres wurde der Einsatz für das Gemeinwohl zu einer Berufung, wobei publizistische und politische Arbeit meist Hand in Hand gingen. Von seinem liberalen Vorbild Friedrich Naumann gefördert, stieg er 1912 zum Chefredakteur der Neckarzeitung auf, schrieb politische Analysen ebenso wie kulturelle Betrachtungen. Auch als liberaler Politiker in der Weimarer Republik publizierte er weiter Artikel und Bücher. Seine profunde Bildung, sein heller Geist und auch sein ausgleichendes, symphatisches Wesen prädestinierte ihn nach der moralischen Katastrophe des Nationalsozialismus für die Aufgabe, die Deutschen wieder zur Demokratie hinzuführen. Er selbst hatte mit seiner Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz Hitlers im März 1933 Schuld auf sich geladen. Als Bundespräsident versuchte er, die verschütteten freiheitlichen Kulturtraditionen des Landes freizulegen. Bei seinen unzähligen Auslandsreisen warb er mit seiner Person für das demokratische Selbstverständnis des neuen Deutschlands. Im Inneren wurde er zum Sinnbild der gebildeten Bürgerlichkeit, zum väterlichen Demokratielehrer. Dem Intellektuellen war dieses „Papa-Image“ aber persönlich immer zuwider. Er wollte weniger als gütiger Landesvater, vielmehr als kritischer Kopf wahrgenommen werden.
Leben und Werk:
1884: Theodor Heuss wird in Brackenheim/Württemberg als jüngster Sohn eines Straßenbaumeisters geboren.
1902: Heuss beginnt ein Studium der Kunstgeschichte und Nationalökonomie in München, das er drei Jahre später mit einer agrarhistorischen Doktorarbeit über „Weinbau und Weingärtnerstand in Heilbronn“ in Berlin beendet.
1905: Heuss leitet die von Friedrich Naumann herausgegebene Zeitschrift „Die Hilfe“.
1908: Heuss heiratet Elly Knapp, die Tochter des Straßburger Nationalökonomen Georg Knapp. Aus der Ehe geht ein Sohn hervor.
1912: Heuss wird Chefredakteur der „Neckarzeitung“ in Heilbronn.
1918: Heuss tritt in die „Deutsche Demokratische Partei“ (DDP) ein und übernimmt zeitweise die Geschäftsführung des Deutschen Werkbundes in Berlin.
1920: Heuss nimmt eine Dozentenstelle an der Berliner „Hochschule für Politik“ an, bis er 1933 von den Nationalsozialisten gekündigt wird.
1924: Heuss wird für die DDP in den Reichstag gewählt.
1933-1945: Heuss arbeitet vorwiegend publizistisch, vor allem für die „Frankfurter Zeitung“.
1945/6: Heuss wird Kultusminister im neu gegründeten Land Württemberg-Baden.
1947: Heuss übernimmt eine Honorar-Professur für politische Wissenschaft an der Technischen Hochschule in Stuttgart.
1948: 12. Dezember: Heuss wird zum ersten Vorsitzenden der neu gegründeten Freien Demokratischen Partei (FDP) gewählt.
1949: 12. September: Die Volksversammlung wählt Heuss zum ersten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland.
1952: Heuss erklärt das Deutschlandlied zur Nationalhymne, unter der Maßgabe, dass lediglich die dritte Strophe gesungen werden darf.
1959: In Würdigung seiner Lebensleistung wird Heuss mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.
1963: 12. Dezember: Theodor Heuss stirbt in Stuttgart und wird fünf Tage später mit einem Staatsbegräbnis auf dem dortigen Waldfriedhof beerdigt.
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