Blumfeld ist vieles: Liebling der Feuilletonisten, die sich wegen der Zitatencollagen und verquirlten Wortspiele mehr als einmal ihren klugen Kopf zerbrachen, Begründer des deutschen Diskurspops, Oberhaupt der „Hamburger Schule“ mit ihren Musterzöglingen Tocotronic und den Sternen. Vor allem aber war sie in meinen Studizeiten eins: meine Band.
Seit den Anfängen begleitet das vormalige Quartett um Jochen Distelmeyer mich, meine Zweifel und meine Fragen an die Welt. Das Rätsel der Liebe, der verzweifelte Freiheitskampf des Einzelnen gegen gesellschaftliche Windmühlen, die Suche nach Sinn in einer materialistisch-oberflächlichen, entspiritualisierten Welt: Die ewig- gleichen Themen, auf die Blumfeld im politischen Bewusstsein der jeweiligen Zeit stets unterschiedliche musikalische Antworten fand.
Sei es das hermetische Meisterwerk „L’Etat et moi“ oder das schlagerähnliche Album „Old Nobody“: Immer wieder schaffte es Blumfeld, ein sagenhaftes Assoziations- und Zitatengewitter über einen niedergehen zu lassen, das bei jedem Zuhören und je nach Stimmung neue Interpretationen erlaubte. Dabei war Blumfeld immer tiefgründig, emotional, ja die Band erfand für mich eine Form der Wahrhaftigkeit, wie sie vielleicht nur Musik ermöglicht . Alles begann 1992 mit der „Ich-Maschine“, ihrem Debütalbum. „Ein Lied mehr, das Dich festhält und nicht dahin lässt, wo Du hinwillst/weg von hier/ein falscher Freund mehr, der nicht locker lässt/bis Du einer von Ihnen bist/und wieder nur alles geordnet ist: Laut, rebellisch und punkig klang da Blumfeld noch. Genau richtig für einen jungen Twen, der auf alkoholgeschwängerten Studentenpartys die wilde Freiheit in der Pose des ganz Anderssein einforderte, damit es nicht, „weil es immer so war, so bleibt“.
Der aber schon erkannte, dass die eigentlichen Fragen des Glücks sich im zwischenmenschlichen Bereich entscheiden. „Sind zwei zuviel, um frei zu sein? Oder brauch ich Dich, um ich zu sein?“: Fragen, die mich heute noch beschäftigen. Blumfeld verstand es schon auf der „Ich-Maschine“ auf geniale Weise in ihren Songs die Suche nach privatem Glück mit dem Ziel der politischen Emanzipation zu verbinden. Bei Distelmeyer & Co. ist das Private immer politisch, und das Politische immer auch privat zu finden. Das Erbe der 68er wird bei den Hamburgern musikalisch fortgeführt. Aber in einem Sinne, der den veränderten Umständen Rechnung trägt. Und das – finde ich richtig toll.
(für stern.de, 07.04.2014)
15. April 2020 at 12:27
Vielen Dank für diesen gut formulierten und hilfreichen Artikel, der mir sehr bei der Recherche geholfen hat.
Liebe Grüße aus Hannover
W. Wengenroth